Wo früher Kaffee, Tee und Gewürze gespeichert wurden, wird bald auch Energie gespeichert.
Bis 2040 möchte HHLA Immobilien die Speicherstadt zum energieeffizienten Quartier umbauen.
Prototyp ist Speicherblock H. Ein ganzheitliches Nachhaltigkeitskonzept soll aus Block H
einen vielfältig nutzbaren Energieerzeuger und Energiespeicher machen.
Bau-Spezialisten von Universitäten forschen zusammen mit Experten von HHLA Immobilien an einem deutschlandweit beachteten „Klimaspeicher“. Sie untersuchen, wie unter den Bedingungen des strengen Denkmalschutzes im UNESCO-Weltkulturerbe eine energetische Sanierung von Bestandsimmobilien möglich und auch attraktiv ist. Angesichts der immer knapper werdenden Ressourcen und rasant steigender Preise im Baugewerbe gibt es theoretisch eine nachhaltigere und langfristig kosteneffizientere Strategie: Energiesanierung bis auf klimaneutrales Niveau. Ob und wie dies für Büro-immobilien sogar unter den verschärften Bedingungen eines denkmalgeschützten Altbaus möglich ist, soll ein bundesweit wegweisendes Forschungsprojekt herausfinden. Das Verbundvorhaben heißt „CO2-neutrales Welterbe Speicherstadt Hamburg“.
Speicherstadt: Ein Welterbe als Wärmespeicher
Zusammen mit der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie suchen die Betreiber des Quartiers nach Wegen, erneuerbare Energien örtlich zu gewinnen und gleichzeitig Denkmalschutz und Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen. Das seit 2021 laufende Verbundvorhaben „CO2-neutrales Welterbe Speicherstadt“ läuft zunächst bis Ende 2024. Finanziell gefördert wird es durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Projektträger ist das Forschungszentrum Jülich. Zum Forschungsverbund gehören drei Hochschulpartner: die Universität Stuttgart mit dem Institut für Werkstoffe im Bauwesen, der Lehrstuhl für Entwurf und Analyse von Tragwerken an der HafenCity Universität Hamburg sowie die RWTH Aachen mit dem Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik.
Das Sandtorkaispeicher oder Block H genannte Kontorhaus dient als Pilotprojekt. Hier wird ermittelt, wie ein ganzer Block im UNESCO-Weltkulturerbe allein durch Nutzung der vorhandenen Dachflächen autark und emissionsfrei mit Wärme versorgt werden kann – ohne die Optik der historischen Dächer zu verändern. Das Forschungsvorhaben umfasst die Erzeugung von Solarstrom und Solarthermie, die Speicherung der Wärme mit verschiedenen Verfahren im Untergeschoss sowie die Verteilung und Regelung der Energie im Gebäude mittels einer Wärmepumpe. Der Nutzeffekt dieser Versuchsanlage wird in der Forschungswerkstatt im Erdgeschoss erprobt und gemessen. Besprechungsräume und Flure sind als Modell-Großraumbüro mit modernster Dämm- und Heiztechnik ausgestattet.
CO₂-neutrales Welterbe Speicherstadt
Auf dem Dach des historischen Speicherblocks H wurden zwei Giebeldachaufbauten aus Holzsparren auf einem Stahlrohrrahmen errichtet und mit „solarhybriden Dachsystemen“ eingedeckt. Diese Module generieren sowohl Solarstrom als auch Solarwärme. Dabei stellt allerdings der Denkmalschutz in der Speicherstadt strenge Anforderungen. Ihre Dächer sind traditionell entweder mit Kupferblechen oder mit Schindeln aus Schiefer gedeckt, was prägend zur typischen, weltweit bekannten Anmutung der Backsteingebäude beiträgt. Die solarhybriden Dachmodule durften dieses Bild also nicht durch die Lichtreflektionen und Farbeffekte herkömmlicher gläserner Solarzellen beeinträchtigen.
Deshalb wurden die Module auf den beiden neu errichteten Dachgiebelaufbauten auf jeweils 70 Quadratmetern Fläche als völlig neu entwickelte Imitate von Schiefer-Schindeln beziehungsweise Kupferblechen ausgeführt. Von der Straße und den umliegenden Gebäuden aus sind sie mit bloßem Auge nicht von den Original-Dachelementen zu unterscheiden. Sie bestehen aber weder aus Schiefer noch aus Kupfer, sondern aus Glas. Die UV-Strahlen der Sonne durchdringen dabei eine transparente Schicht, um sowohl Strom als auch Solarthermie generieren zu können.
Moderne Technologie trifft Denkmalschutz
Im Keller des Speicherblocks arbeiten zwei Wärmeenergiespeicher, die auf ganz unterschiedlichen physikalischen Prinzipien basieren: der Eis- und der Betonspeicher. Der hybride Betonspeicher hat einen fest-stoff-gefüllten und wasser-durch-strömten Kern, der sehr gut isoliert ist. Eine im Sommer auf dem Dach generierte Hitze von bis zu 70 Grad kann in diesem einmal aufgeheizten Kern mittelfristig erhalten werden, um die Büroräume des Speichers dann in der Übergangszeit wochenlang mit sogenannter „sensibler“ Wärme zu versorgen. Doch wenn die im Betonblock gespeicherte Wärme während einer längeren Kälteperiode verbraucht ist, lässt sie sich im sonnenarmen Winter dort nicht mehr regenerieren. Dann übernimmt der Eisspeicher und macht dabei sogenannte „Latentwärme“ nutzbar.
Neuartige Eis- und Betonspeicher
Insgesamt sind die Forschenden wie auch HHLA Immobilien und die Stadt Hamburg optimistisch. Alle hoffen einen gut skalierbaren „Maßnahmenkoffer“ für die großflächige, klimaneutrale Wärmesanierung der gesamten Speicherstadt entwickeln zu können. Und als Blaupause für betagte Büroimmobilien an anderen Orten, die nicht von planerischen Einschränkungen durch den Denkmalschutz betroffen sind, wäre das Konzept vielleicht noch einfacher umsetzbar.
Mehr Informationen zur Speicherstadt können Sie auf unserer Architekturführung Weltkulturerbe erfahren.